Stillleben der Vergänglichkeit
Der Mensch ist abwesend auf den Bildern von Laurenz Berges. Anwesend ist er nur als Spur, als Zeichen. Diese auf den Menschen verweisende Zeichenhaftigkeit in seinem Werk hat sich mit den Jahren verändert. Sie ist allgemeiner geworden und hat sich von spezifischen Situationen gelöst. Seinen Fotografien aufgegebener russischer Kasernen in der ehemaligen DDR oder leer stehender Häuser und Wohnungen in verlassenen Dörfern im Rheinland wurde noch ein ethnologischer Blick zugeschrieben, weil die Hinterlassenschaften der Soldaten und Bewohner Rückschlüsse auf ihre Lebensweise erlauben. Wie Wohnungen und Häuser Spiegel der Persönlichkeit ihrer Bewohner sind, erzählen uns öffentliche Gebäude von dem Geist, der in ihnen herrscht. Jenseits der spezifischen Verankerung seiner Bilder war Berges Blick auf die Welt von Anfang an ein melancholischer. Verbunden mit der existentiellen Einsicht, dass die Dinge nicht bleiben, wie sie sind. Dass sie vergehen und verlöschen. »Denn alles, was da lebt, ist wert, dass es zugrunde geht«, lesen wir in Goethes Faust.
Weit mehr als nur ein »Chronist der Abwesenheit« ist Berges ein Zeuge dieses »Zugrundegehens« der Dinge. Seine Aufnahmen sind Stillleben der Vergänglichkeit. In diskreter Weise schließen sie an die alte Tradition des Memento mori in der Kunst an. Was Berges zeigt, sind nicht allein Momente der Abwesenheit, sondern Zeugnisse des Sterbens der Dinge. Als Metonymien des Menschen rücken sie so den eigenen Tod in unser Bewusstsein. Das tun sie in einer Weise, dass Vergehen und Verlöschen wenig Deprimierendes haben.
Die Leere, von der die Bilder handeln, wird in dialektischer Verkehrung zugleich zu einer Fülle des Seins. Oldenburg (2008), der Blick in den Innenraum eines aufgegebenen Fliegerhorstes, besticht durch die orthogonale Ordnung des Bildes. Das Licht, das auf der Aufnahme liegt, und die nuancenreiche Skala seiner Weiß– und Grautöne laden das Bild mit einer Vielzahl von Seheindrücken auf, die das scheinbar Banale und Belanglose zur optischen Sensation machen. Nicht anders die Ansicht eines verlassenen Interieurs in Cloppenburg. Am Markt II (2008) ist mit seinem filigranen Farblichtspiel von hohem ästhetischen Reiz. Die liegen gebliebenen Briefe erzählen über die Vergangenheit des Ortes. Am Markt (2006) und Am Markt I (2008) zeigen, wie sich die Natur zurückholt, was ihr die Kultur genommen hat. Pflanzen wachsen von außen in den Innenraum. Dabei verbinden sich Fläche und Linie, Ruhe und Bewegtheit, Ein– und Mehrfarbigkeit zum harmonischen Bild. In »Am Markt I« verfremdet der Schein einer Taschenlampe das Motiv zum lichterfüllten Tunnel. Auch die Aufnahme Hausstätte (2008) operiert mit malerischen und erzählenden Anmutungen. Die an der Wand aufgehängten Stoffblumen wirken im Gegensatz zur Rosentapete seltsam uneindeutig und leicht unheimlich. In all seinen Bildern gelingt es Laurenz Berges, den Motiven des Vergehens die Kraft einer verdichteten, präzisen und somit letztlich auch tröstlichen Komposition entgegenzusetzen.