Cloppenburg. Vom bildnerischen Charme des Unspektakulären
„I sometimes wonder what has led us to spend so many hours studying such scenes. But of course we both know. What was it Godard said ? … ‘For us, the future is more real than the present.‘“
Robert Adams in einem Brief an Laurenz Berges
I
Landschaften sind Kulturräume. Sie beruhen auf der Wahrnehmung, Interpretation und Gestaltung durch den Menschen. Ob es sich dabei um eine Auseinandersetzung mit geografischen Gebieten, ursprüngliche oder vom Menschen kultivierte Natur oder urbane, von Architekturen und Verkehrsnetzen infrastrukturell geprägte Umgebungen handelt, als kulturelle Artefakte stellen Landschaften ein besonderes Segment unserer Welterfahrung dar. Diese Besonderheit und ihre jeweiligen bildnerischen und ästhetischen Eigenheiten haben sie zu einem der wiederkehrenden Themen der Kunst und hier auch der Fotografie gemacht. Seit der Entwicklung des Mediums und seinen unterschiedlichen bildgebenden Verfahren erscheinen einerseits Aspekte des „Erhabenen“ als wiederkehrende Themen einer Natur– und Landschaftsbetrachtung, während in der Fotografiegeschichte des 20. Jahrhunderts häufig auch das eher Unspektakuläre und Alltägliche auf der Basis einer sachlich-dokumentarischen Bildsprache in den bildnerischen Fokus rückt.
Beispielhaft hierfür kann die in dieser Publikation vorgestellte farbfotografische Werkgruppe Cloppenburg aus dem Frühwerk von Laurenz Berges angesehen werden. Sie entstand in den Jahren 1989/90 nach einem einjährigen New-York-Aufenthalt in der niedersächsischen Heimatstadt des Künstlers, der inzwischen seit mehr als 25 Jahren in Düsseldorf lebt, bis heute aber familiär und autobiografisch mit Cloppenburg verbunden ist.
Im Kontext der internationalen zeitgenössischen künstlerischen Fotografie ist Laurenz Berges vor allem mit seinen zwischen Abstraktion und reduziert erzählerischen Momenten changierenden, farblich zurückgenommenen „Bilderbühnen“ von Innenraumausschnitten verlassener Räume und „entsiedelter“ Orte bekannt geworden. Hierzu zählen die in den 1990er-Jahren entstandene Serie Kasernen, mit denen er sich den in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung verlassenen Kasernen der russischen Armee als Bildthema zuwandte, ebenso wie die Serie Etzweiler mit Innenräumen verlassener Dörfer im Braunkohlegebiet um Düren sowie spätere Motive, die in Duisburg und dem Ruhrgebiet entstanden. Betrachtet man den für diese späteren Werkgruppen wesentlichen Aspekt der Vergänglichkeit und der abstrahierenden Bildausschnitte, lassen sich diese Merkmale auch schon in manchen Motiven der Serie Cloppenburgentdecken.
II
Schon vor seinem Studium der Fotografie, zunächst in Essen und später bei Bernd Becher in Düsseldorf, hatte sich Laurenz Berges mit der Entwicklung und Tradition der Landschafts– und Dokumentarfotografie des 20. Jahrhunderts und deren wichtigen Vertretern im Bereich der Schwarzweißfotografie, wie Walker Evans oder Robert Frank in Amerika oder Albert Renger-Patzsch und Heinrich Riebesehl in Deutschland, ebenso wie mit der Entwicklung und Wirkung der amerikanischen „New Color Photography“ auseinandergesetzt. In den 1970er-Jahren gehörte hier u.a. Stephen Shore zu den Fotografen, die sich, an alltäglichen amerikanischen Landschaften und soziologisch verweiskräftigen Themen orientiert, der Farbfotografie konzeptuell zuwandten und auch in Deutschland Entwicklungen der Fotografie beeinflussten.
Neben Bernd und Hilla Becher, die ebenso wie viele der oben genannten amerikanischen Fotografen an der legendären Ausstellung New Topographics. Photographs of a Man-altered Landscape 1975/76 in Rochester teilgenommen hatten und einen engen Kontakt etwa zu Stephen Shore pflegten, war es vor allem Michael Schmidt, der innerhalb seiner „Werkstatt für Photographie“ in Berlin-Kreuzberg Lewis Baltz, Stephen Shore oder Robert Adams zu Vorträgen nach Deutschland einlud und Begegnungen, möglich machte. [1]
Mit einigen, wie etwa mit Robert Adams, pflegte später auch Laurenz Berges im Kontext einer Gruppenausstellung, die von Thomas Weski und Heinz Liesbroek kuratiert wurde und an der beide Künstler neben Joachim Brohm, Bernhard Fuchs und Simone Nieweg beteiligt waren, einen langjährigen persönlichen Austausch. [2]
Auch bei dieser Ausstellung ging es um ein durch den Menschen verändertes Landschaftsbild in urbanen Rand– und Siedlungsgebieten. Aspekte, die im Werk von Laurenz Berges in der Serie Cloppenburg nunmehr individualisierend auf eine typische deutsche Landschaft angewandt, nachvollziehbar werden.
III
Cloppenburg kann exemplarisch für viele Kreis– und Kleinstädte, Orte und Ortschaften in Niedersachsen angesehen werden. Kulturhistorisch über mehrere Jahrhunderte gewachsen, fügt sich die Kreisstadt in eine von Feldern, Wäldern, Landwirtschaft und Viehzucht geprägte flache Umgebung ehemaliger Moor– und Heidelandschaften ein. Ihre Wohn– und Zweckarchitekturen sind geprägt von rotbraunen, manchmal auch weiß getünchten Backsteinbauten, und anders als in den meist protestantischen Städten in Niedersachsen überwiegt in Cloppenburg ein römisch-katholischer Bevölkerungsanteil. Eine Besonderheit, die sich als Aspekt der Sozialisation in Momenten der Umgebung und hierbei auch in wenigen Bildern der Serie von Laurenz Berges ablesen lässt.
Konzentriert auf weitgehend menschenleere Bildausschnitte, die dennoch auf den Menschen und die von ihm gestalteten Umgebungen, Architekturen, wirtschaftliche und verkehrsbedingte Infrastrukturen verweisen, verbinden sich die 49 Einzelbilder der Serie zu einem reduziert erzählerischen und farblich zurückgenommenen Landschaftstableau. Fast ein bisschen wie Statisten und für die sonstige Serie wie auch für das spätere Werk von Laurenz Berges eher untypisch wirken die vereinzelt erscheinenden Personen in manchen der Bilder. Undeutlich in einem Auto, anonymisierend aus der Rückenansicht auf einem Gehweg oder in einem Friedhofsbild aufgenommen, werden sie zu Stellvertretern und lassen einen aus der Distanz beobachtenden erzählerischen Bezug des Künstlers zu den Bewohnern und ihrem Leben in Cloppenburg entdecken. Hin und wieder verweisen wie mit einem Augenzwinkern auch vereinzelnd parkende Autos auf sie.
Bei natürlichem Licht und stets bedecktem Himmel im Herbst und Winter mit dokumentarischer Bildsprache aufgenommen, steht nicht das kulturhistorisch hervorzuhebende Individuelle, das Cloppenburg durchaus auch bieten könnte, sondern eine Annäherung an ein Landschaftsbild im Vordergrund, in dem das Unspektakuläre eine eigene Aussagekraft und mit den von Laurenz Berges gewählten fotografischen Perspektiven und Ausschnitten eine konzentrierte Bildlichkeit entwickelt. Wiederkehrend teilen Straßenläufe und Wege die Bildräume mit ihren Ausschnitten aus Feldern, Bäumen, Häusern und leiten den Blick in horizontale, vertikale und diagonale Blickachsen, um Perspektiven auf Bildhorizonte nach klassischer Landschaftsbildaufteilung zu öffnen. In weiteren Bildern staffeln und rhythmisieren sie den Bildraum aus einer Nahsicht im Zusammenspiel mit Architekturen, „Streifen“ von Feldern, angrenzenden Wiesen oder vertikal orientierten Durchsichten durch Bäume. Als abstrahierende ästhetische Momente der Bildfolge erscheinen darüber hinaus Garagenreihungen, die an Farbfeldmalerei erinnern, oder Lagerhallen, deren unterschiedliche geometrische Formen den Bildraum verspannen und sich markant von der Umgebung absetzen. Unterschiedliche Typografien von Firmenschriftzügen verorten deren Gründung ästhetisch in unterschiedliche Zeitzusammenhänge, wofür auch einige Bilder mit Schaufensterdekorationen, ein bühnenartig gestaffelter Innenraum mit grafisch markanter, floral-ornamentaler Tapete aus den – so scheint es – 1970er-Jahren oder das Motiv mit einem dekorativen Wandbild mit Fischen, beispielhaft sind.
Im Kontext der Geschichte der Fotografie erinnern die Schaufensterbilder darüber hinaus u.a. auch an die berühmten Fotografien von Pariser Schaufenstern aus dem frühen 20. Jahrhundert von Eugène Atget. Mit seinen konzeptuell erfassten typologischen Bildern wollte er ein verschwindendes, ästhetisch besonderes Moment des zukünftig mehr und mehr urbanisierten Paris fotografisch festhalten.
Gegenwärtiges aus einem Bewusstsein für zukünftige Veränderungen festzuhalten, Zeit und ihre Erzählspuren in Bildern zu dokumentieren, ist ein für die Fotografie typisches Moment. In Bezug auf die Bildserie Cloppenburg wird dies vielschichtig in konzentrierten Bildkompositionen ablesbar, für Laurenz Berges ein wichtiger Beweggrund zur Entstehung der Serie. [3]
Unterschiedlichen Aufnahmeprinzipien folgend und mit individuellen Ausschnitten das Faktische und zeitlich Veränderliche in Bilder überführend, erscheinen die eigentlich unspektakulären Motive aus Cloppenburg als aufeinander bezogenes Landschaftstableau, in dem mit der Ahnung an Zukünftiges auch das Allgemeingültige und Wiederkehrende einen eigenen Charme entwickelt.
[1] Die wegweisende, von William Jenkins kuratierte Ausstellung New Topographics. Photographs of a Man-altered Landscape, die 1975/76 in Rochester gezeigt wurde und ihre Rezeptionsgeschichte wirken bis heute in die aktuelle Auffassung eines fotografischen Landschaftsbildes hinein und können auch zur Serie Cloppenburg in Beziehung gesetzt werden. Siehe dazu: New Topographics – Texte und Rezeption, Landesgalerie Linz am Oberösterreichischen Landesmuseum/Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur, Salzburg 2010
[2] Landschaft Photographs by Robert Adams, Joachim Brohm, Laurenz Berges, Bernhard Fuchs, and Simone Nieweg, touring exhibition of the Lower Saxony Sparkasse Foundation? 2002, curated by Heinz Liesbrock and Thomas Weski; Publication with texts by Robert Adams, Heinz Liesbrock and Thomas Weski, Steidl/Göttingen, 2002
[3] Siehe hierzu den Kurztext von Laurenz Berges in dieser Publikation