Nicht fies vor schmuddeligen Ecken
Laurenz Berges ist nicht fies vor schmuddeligen Ecken. Verdreckte Hofeinfahrten, leerstehende Abrisshäuser und tote Weiher sind hässliche und banale Orte, die andere Fotografen links liegen lassen. Nun machen Berges Bilder diese Flecken nicht unbedingt schöner. Dennoch zählt der Fotograf nicht zu jenen Vertretern, die sich an einer Ästhetik des Hässlichen oder Ruinenpornos schrumpfender Städte delektieren. Laurenz Berges geht es um die Bildhaftigkeit der vorgefundenen Motive und Phänomenen der Veränderungen. Eine Ausstellung im Oldenburger Kunstverein überrascht mit neuen Arbeiten des Fotografen, die an Sprödigkeit eingebüsst haben und dafür umso erzählerischer und malerischer wirken.
Materieller Verfall und struktureller Wandel sind wiederkehrende Themen im Ouevre des 1966 in Cloppenburg geborenen Künstlers. Bereits seine erste umfassende Werkreihe, die sich Situationen des Übergangs zwischen Stadt zu Land in seiner Heimatregion widmete, ist nachhaltig vom dokumentarischen Stil Walker Evans geprägt, einem Klassiker der Schwsarzweißfotografie. Im Unterschied zu seinem Vorbild, arbeitete Berges von Anfang an in Farbe. Die reduzierten Töne und das diffuse Licht betonen bis heute die tendenzielle Leblosigkeit der nahezu immer menschenleeren Orte. Freilich waren die ehemaligen Kasernen in Ostdeutschland, die Berges während seines Studiums an der Essener Folkwangschule fotografierte, vor ihrer Räumung durch die Sowjetischen Streitkräfte wohl nur ungleich weniger trist und trostlos.
Sich selbst und dem Zerfall überlassen präsentierten sich auch die leerstehenden Häuser im Rheinischen Tagebau-Revier, die der Fotograf Anfang des Jahrtausends dokumentierte. Beide Serien waren durch ihre geografische und zeitliche Verortung in einem Kontext verankert, in dem die Dimension gesellschaftlicher Veränderungen zwangsläufig den Blick dominierte. Ein Ort wie Etzweiler, der den Schaufelradbaggern weichen musste, wurde so zu Chiffre für die Auswüchse energiepolitischer Fehlplanung. Für seine neuen Arbeiten verliess Berges den eng gesteckten regionalen Rahmen. Die Ursachen und Bedingungen von Räumen sind nicht mehr zu benennen. Dem Betrachter werden Informationen entzogen, um zu mehr allgemeingültigen Aussagen zu gelangen. An die Stelle der vormals thematisch gebundenen Serie ist nun das Einzelbild getreten.
Der vom Berliner Architekturbüro Kühn Malvezzi umgebaute Kunstverein in Oldenburg bietet den denkbar besten Rahmen, um Laurenz Berges‹ Entwicklung von erratischen Innenräumen und markanten Unorten hin zu freien Studien abzubilden. Das Arrangement aus weißen Einbauten und dunkler Holzkonstruktion ermöglicht einen freien Parcours, der wunderbar mit Berges´ Fenstermotiven korrespondiert. Einige der Öffnungen sind zugemauert, andere mit Folien zugeklebt oder von Sträuchern zugewachsen, sodass nur ein Schimmer Licht von außen durchdringt. Doch ein Ausblick ist auch andersherum nicht möglich, wenn greller Sonnenschein den Rahmen ausgefüllt. Auf dem Bild Am Markt I modelliert das einfallende Licht gleichsam die geschwungene Gardine und gewinnt beinahe plastische Qualität. Dank der verwendeten Plattenkamera sind die Strukturen vom Vorhangstoff und der floral gemusterten Tapete detailscharf abgebildet. Geradezu altmeisterlich hat Laurenz Berges die Tonigkeit von Hell und Dunkel herausgearbeitet.
Indirekt wirksam wird die gestalterische Lichtkraft in den Aufnahmen von Stellen, an denen zuvor Bilder und Dekorationsstücke platziert waren. Lediglich deren Umrisse verweisen noch auf die abgehängten Objekte. In seinen jüngsten Bildern rückt Berges erstmals Einrichtungsgegenstände in den Mittelpunkt, etwa eine alte Ledercouch, einen Wäscheständer oder einen mit Gerümpel zugestellten Abstellraum. Assoziationen zu Materialansammlungen in Werken der Bildenden Kunst, beispielsweise bei John Bock oder Paul McCarthy, liegen nahe. Mehr noch aber erinnern Berges Rauminszenierungen zunehmend an Bühnenbilder, etwa jene von Anna Viebrock, die sich ebenfalls für Verfallsprozesse und das Vergehen von Zeit interessiert. Bei beiden Künstlern scheinen die Interieurs ein Eigenleben zu entwickeln und einer neuen, disfunktionalen Logik zu folgen. Durch den Einfluss von Wasser, Licht, Staub und Witterung verformen sich auf Berges´ Fotografien die Tapeten oder lösen sich von der Wand, Auslegeware wirft Wellen. Im Außenraum heben sich Bodenplatten, Dächer und Insektenfallen werden von Grünspan überzogen. Es sind Sillleben der Vergänglichkeit.
Auf Porträts war Bernd Becher, bei dem Laurenz Berges nach seinem Wechsel zur Düsseldorfer Kunstakademie studierte, bekanntlich nicht spezialisiert. Daher hat es vielleicht bis jetzt gedauert, dass sich auch sein letzter Meisterschüler an die Darstellung von Menschen wagte. Das Bild eines Mannes in verschmutzter Kleidung, von dem nur der Oberkörper zu sehen ist, deutet jedenfalls an, dass Berges keine psychologische Aspekte beschäftigen: der Abgebildete scheint zu verschwinden, gleichsam vor unseren Augen unsichtbar zu werden. Es handelt sich um einen schwarzen Obdachlosen. Markus Weckesser
Bis 20. Januar 2013, Oldenburger Kunstverein, Publikation »Frühauf Danach« (Schirmer Mosel), 49,80 Euro.